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kurzgeschichten1

MEERESRAUSCHEN

"Ja, jeden Tag über 30 Grad ... strahlend blau von morgens bis abends ... jede Menge Dattelpalmen ... Das Rauschen? Das kommt vom Meer ... Ja, die Geschäfte gehen gut ... werde diese Händler über den Tisch ziehen ... Was für ein neuer Job? Ich muss Schluss machen, es steht jemand vor der Zelle. Tschüss, mein Liebchen!" Harry quetscht seinen stattlichen Körper durch die quietschende Tür der Telefonzelle und nimmt einen tiefen Atemzug von der erfrischenden Winterluft.
Luise fasst seine Hand und schmiegt sich an ihn. "Die gute Monika - dass sie dir
Jahren noch glaubt, dass du einmal im Jahr nach Marokko fliegst und Teppiche einkaufst. Ganz schön naiv, die Frau." Luise wirft ihr wallendes Haar zurück und schaut Harry tief in seine rauchblauen Augen. "Schatz, ich will gehen."

Eine weiße Schneedecke überzieht die alpine Landschaft. Dickes Eis lässt das Bergmassiv im zartgelben Sonnenlicht hell erstrahlen. Etwas Süßes und Fruchtiges liegt in der Luft.

Harry und Luise schlendern unbeschwert durch die Altstadt von Kitzbühel, vorbei an Bars der High Society und an überteuren Filialen von Prada und Frauenschuh.
"Sieh dir diesen Nerz an. Er kostet nur zweitausend Euro. Schenkst du ihn mir?" - "Später. Ich habe Durst. Möchtest du ein Glas Punsch oder einen Schnaps zum Aufwärmen, Liebste?" - "Du weißt, dass ich als deine Therapeutin nicht erlauben kann, dass du trinkst. Du verlierst zu leicht die Kontrolle."

Harry spült seinen zweiten Marillenschnaps hinunter und stellt schniefend das Schnapsglas ab. Luise blickt verträumt in Harrys Richtung und zeigt auf den Juwelier, der sich gegenüber in der Vorderstadt befindet. Ein großes, grünes Schild schwingt über der rustikalen Eingangstür aus massivem Eichenholz. - "Juwelier Rauter"

Luise weiß teuren Schmuck zu schätzen und ihr Harry-Bärchen würde sich niemals weigern, sein Mäuschen zu verwöhnen. Die kleine Metallglocke am Eingang bimmelt, als die zwei hindurch gehen. Der Parkettboden unter ihren Füssen knarrt und kracht. Alte, aber edle Holzregale und Schränke aus gebeiztem Ahorn stehen rigoros angeordnet im Verkaufsraum. Schimmernde Diamantcolliers, Silber- und Goldringe werden, sorgfältig eingebettet in edle Samttücher, dargeboten.

"Sieh dir dieses Collier an, mein Harry-Bärchen. Findest du nicht, es würde meinem grazilen Hals schmeicheln?" - "Alles, was du willst, Mäuschen. Sieh dich in Ruhe um. Ich muss einen schlichten Ring für Monika besorgen." Luise schmachtet über den schillernden Schmuckstücken.

Plötzlich klingelt und poltert es an der Tür. "Überfall! Das ist ein Überfall! Her mit dem Schmuck! Gebt mir sofort den Schmuck. Packt ihn da in die Tasche, sofort!"

Der Verkäufer hebt nervös die Hände und verharrt wie angewurzelt hinter seinem Tresen. Harry verkrümelt sich zitternd in eine kuschelige Ecke und wendet seinen Blick verschämt zu Boden. Ängstlich zieht er seine Arme an den Körper.

Luise bleibt unberührt wie ein Fels mitten im Raum und hält ihr feines Händchen schützend über das wertvollste Collier.

"Hauen Sie ab! Sonst erschieße ich Sie", gluckst der irritierte Räuber und fuchtelt mit seiner Pistole herum.

Unerschrocken tadelt sie den Gangster: "Ach bitte, bewahren Sie doch Ruhe. Warum werden Sie denn gleich so ausfallend? Sie haben keinen Grund für diese überzogene Reaktion."

"Halten Sie die Klappe! Her mit dem Schmuck. Geben Sie mir gleich das Collier da."

"Sie werden akzeptieren müssen, dass ich Ihnen dieses Schmuckstück nicht überlassen kann. Es befindet sich bereits in meinem Besitz."

Der schlacksige Kriminelle wird unruhig und läuft verstört im Geschäft hin und her.
"Was soll das heißen? Das gehört alles mir. Ich bin der mit der Pistole!"

"Das glaube ich nicht. Ihre Waffe, mit der Sie uns so unverfroren zu drohen versuchen, ist nicht echt und Sie können uns damit nicht beängstigen. Kommen Sie, setzen Sie sich, beruhigen Sie sich erst einmal und alles wird sich zum Guten wenden."

Der Räuber kann so viel Unverschämtheit nicht ertragen. Schluchzend lässt er sich auf den Stuhl fallen und grummelt vor sich hin. "Ich wollte doch nur ... Warum ist die so? Was will die eigentlich? Ich verstehe das nicht."

Der Verkäufer erwacht aus seinem Schock, schnappt sich das Telefon und alarmiert die hiesige Polizei. Da ein bisschen Propaganda für seinen Laden nicht schaden kann, informiert er gleich die Redaktion des Tiroler Tagesblattes. Keine zehn Minuten später stürmt Hauptkommissar Obermüller enthusiastisch zur Tür herein.
Sein Gehilfe steckt den nervlich fertigen Räuber in Handschellen und schiebt ihn hinaus.

Harry sieht sich von der Gefahr befreit und stolziert aus der dunklen Ecke des Raumes. In der Hand hält er sein Handy: "Ähm, ich hatte gerade ein geschäftliches Telefonat. Nun, Herr Kommissar, wir haben den Raub für Sie vereitelt, so wie sich das für tüchtige Bürger dieses schönen Landes gehört." Er atmet tief durch und stellt sich mit seinem voluminösen Körper direkt vor den Gendarmen.

"Ich bin stolz auf meinen geliebten Harald, weil er uns selbstlos gerettet hat.
Er ist mein Held!", fügt die kluge Luise hinzu.

Auf einmal hasten drei Journalisten des Tiroler Tagesblattes bei der Tür herein. Zwei schießen eifrig Fotos und hinter ihnen taucht Monika auf, die gerade ihr Praktikum bei der Zeitung absolviert.

"Was ist hier los? Sag Mal, spinnst du? Was tust du hier? Wer ist diese aufgetackelte Schnepfe?", schreit sie Harry an.

"Moni, ich konnte doch nicht wissen, dass du hier ... Luise ist meine Psychiaterin.
Du weißt doch, dass ich zur Therapie gehe?"

"Dann hat sie ihre Praxis wohl in diesem Schmuckgeschäft, oder wie sollte ich das verstehen?"

Harry bricht in Tränen aus. Luise nimmt Monika bei der Hand und führt sie aus dem Juwelier-Geschäft.

Am nächsten Tag erscheint ein Artikel im Tiroler Tagesblatt:
"Wenn unsere Männer das Meer rauschen lassen."
© Christine Kapeller

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kurzgeschichten2

DER WEISE ALTE MANN

An jenem klaren Tag schlendert Stella von ihrem Unterricht nach Hause. Vergnügt und fröhlich hüpft sie im Takt der Melodie, die sie vor sich hinsummt.

Es ist Mai und der Himmel schickt seine ersten heißen Sonnenstrahlen zur Erde. Die Ahornbäume der Allee tragen ihr frisches Grün, das im Frühlingslicht zart schimmert. Ein herrlicher Duft strömt durch die Salzburger Augasse.

Wie verzaubert bleibt Stella vor einem weißen Zaun stehen und starrt in einen kleinen Garten, in dem ein bescheidenes Häuschen steht. Mit seinen braunen Brettern und grünen Fensterläden sieht es aus wie ein Haus aus einem der Märchen, das ihr ihre Mutter Maria vorliest, wenn Stella ihren verstorbenen Vater zu sehr vermisst. Vielleicht ist es das, was Stella so unbeirrt festhält, möglicherweise ist es aber auch der bunte Garten mit seinen roten Rosen, seinen gelben Narzissen und all den anderen Blüten und Farben. Leuchtende Falter tanzen über den Blumen auf den Sonnenstrahlen und vier oder fünf Spatzen lassen sich vom lauen Wind um den Wipfel der Eiche tragen.

Auf einem wackeligen Stuhl am Rande der Wiese hockt ein Mann. Seine grauen, lockigen Haare glänzen im Licht. Er hat die Augen geschlossen und lauscht den wundersamen Klängen, die durch das geöffnete Fenster ins Freie dringen.
Auch das Mädchen schließt die Augen und horcht der Musik.

Plötzlich schlittert ein Auto auf den Zaun zu. Stella vernimmt das Quietschen nicht, doch der alte Mann reißt die Augen auf, springt vom Gartensessel und schreit: "Mädchen, Mädchen, ein Auto, lauf zur Seite!"

Es vergehen Sekunden und der ergraute Mann muss noch einmal rufen, bis Stella reagiert und im letzten Augenblick zur Seite springt. Erschrocken gafft sie dem roten Kombi hinterher, bis er um die Kurve biegt und nicht mehr zu sehen ist.

"Na, du liebes Mädchen. Da haben wir wohl noch einmal Glück gehabt, hm?"
"Hmm."
"Darf ich dich zum Trost auf eine Limonade einladen? Du darfst auch die Falter anschauen."

Stella guckt zögerlich in die blauen Augen des Mannes, der inzwischen direkt neben ihr am Zaun lehnt. "Ich darf aber nicht zu Fremden ins Haus, hat meine Mama gesagt." - "Ich verspreche dir, es passiert dir nichts Böses. Komm, süßes Mädchen." Schüchtern tapst Stella hinter dem lockigen Mann her.

Das Haus ist spärlich eingerichtet. Er führt sie in sein Wohnzimmer, in dem nur ein Mahagonischrank, ein Glastisch und ein Stuhl stehen. Auf dem Glastisch liegt ein kleines Foto mit einer jungen Frau in einem edlen Abendkleid. In der Ecke thront ein großes Piano.

Stella erinnert sich, dass sie "so ein riesiges Ding" schon einmal gesehen hat, zu Hause auf dem Dachboden. Der alte Mann drückt ihr das Saftglas in die Hand, setzt sich an das glänzend polierte Klavier und beginnt mit seinen zierlichen Fingern über die Tasten zu gleiten. Wie magisch angezogen, nähert sich Stella.
"Willst du auch einmal?" Sie muss lachen, als sie ein paar Töne aus dem großen Gerät zaubert. "Es ist spät, du musst nach Hause. Besuch mich mal wieder, Stella!"

Ehe Stella begreift, dass der alte Mann ihren Namen kennt, ohne dass sie ihn genannt hat, ist sie auch schon um die nächste Ecke der Straße gebogen und der Gedanke ist verflogen.

"Mama, ich habe was ganz Tolles erlebt. Da war ein Mann und ein Auto und so ein Klavier und ich habe darauf Musik gemacht." Sorgenvoll betrachtet Maria Surrennè ihre Tochter, die eifrig erzählt. "Stella, geh nie wieder zu diesem Mann." - "Warum denn? Ok, Mama."

Viele Jahre vergehen und seither verbringt das Mädchen so manche Nachmittagsstunde auf dem Dachboden.

An ihrem neunzehnten Geburtstag offenbart sie der Mutter ihren Traum. "Mama, ich will Pianistin werden. Das ist es, was ich will." -"Stella, ich dachte, es wäre klar vereinbart, dass du nach der Matura in einem Büro anfängst?" -"Aber Mama, das ist so langweilig un das passt nicht zu mir." - "Ach Kind, du mit deinen Träumereien. Das wird doch nichts."

Genervt schmeißt Stella die Kuchengabel auf den Küchentisch, schnappt sich mit einem beleidigten Schnauben ihre Handtasche, bevor sie aus der Tür verschwindet.
"Jetzt fahre ich erst recht zur Hochschule und informiere mich über die Kurse", bestärkt sie sich.

Mit hochgestreckter Nasenspitze stolziert sie durch die Eingangstür der Uni, vorbei an einem weißen Schild mit der goldenen Aufschrift "Hochschule für Musik und darstellende Kunst "Mozarteum Salzburg". In der riesigen Eingangshalle wird sie von einer neuen Welt gefangen genommen und spürt, wie sie von Kultur und Kreativität überwältigt wird.

An einer der rissigen Wände hängt eine Anschlagtafel. Stella holt tief Luft und marschiert zielstrebig auf das Studienverzeichnis zu. Da ist er auch schon.
"Studienkurs Klavier, Studiendauer 10+6 Semster. Nähere Infos entnehmen Sie bitte dem aufliegenden Studienführer."

Ganz unvermittelt hört sie aus dem Hintergrund eine hüstelnde Stimme:
"Entschuldigen Sie, interessieren Sie sich für dieses Studium?" - "Ähm, ja."

Ein älterer Herr mit weißen Haaren und einem stoppeligen Bart lächelt ihr entgegen, gerade als sie sich umdreht. "Sehen Sie, dann sind Sie hier richtig. Ich kann Ihnen gerne etwas über den Kurs erzählen. Ich war früher hier Musikprofessor und komme seit meiner Pensionierung immer wieder hier her", schildert er in einem enthusiastischen Wortschwall.

Der Herr und Stella setzen sich in die Cafeterìa.
"Wie heißen Sie eigentlich?" - "Ich bin Herbert Münzer und Sie?" -"Stella Surrennè.
Komisch, mein Vater hieß auch Münzer mit Nachnamen."

Der Professor geht nicht weiter darauf ein und beginnt mit detaillierten Ausführungen. Eine Stunde vergeht, dann beschließt er seinen Monolog mit den Worten: "Die Stellenangebote im Bereich darstellende Kunst sind sicherlich rar gesäht. Deshalb empfehle ich Ihnen, bereits während des Studierens für entsprechende Kontakte zu sorgen. Ich kann Ihnen in diesem Fall gerne behilflich sein. Gehen Sie nach Hause und denken Sie in Ruhe darüber nach."

"Mama, ich war an der Uni und habe mich informiert. Ich möchte das Klavierstudium beginnen, nach der Matura. Es dauert 8 Jahre und ich werde natürlich nebenher arbeiten."

"Mein Kind, was hast du für Vorstellungen", entgegnet Maria. "Du findest doch nie ein Engagement als Pianistin. Weißt du, wie schwer es ist, eine erfolgreiche Musikerin zu werden?" Entsetzt starrt sie Stella ins Gesicht.

"Mutter bitte, ich will mir diese Träume erfüllen und du weißt genau, dass ich Talent habe. Du hörst mich seit Jahren spielen. Und dieser Professor Münzer hat mir alles erklärt. Auch, wie ich nach dem Studium Erfolg haben kann."

"Was? Münzer hast du gesagt? Was hast du mit Herbert zu tun? Ich habe dir verboten, mit ihm zu sprechen!"

"Was hast du? Du kannst mir überhaupt nichts verbieten. Du verstehst mich nicht. Du wirst mich nie verstehen!" Stella stampft durch die Terrassentür und rennt den Weg entlang, ohne genau zu wissen, wohin sie will. Ihr Puls rast vor Zorn.

Nach einer Weile beruhigt sie sich, ihre Schritte werden langsamer, bis sie schließlich stehen bleibt. An einem weißen Gartenzaun schaut sie auf einen bunten Garten. Sie erinnert sich an einen schönen Nachmittag mit einem alten Mann. Aber damals ist sie noch ein Kind gewesen. "Ob er noch lebt?" Vorsichtig klopft sie an der Tür, doch niemand öffnet, nur eine traumhafte, beruhigende Melodie ist zu hören. Nach einer Weile erscheint ein älterer Herr hinter dem Vorhang und lächelt. Es ist Professor Herbert Münzer.

"Guten Tag, junge Frau. Ich habe damit gerechnet, dass Sie in nächster Zeit hier des Weges kommen werden." Stella runzelt die Stirn. "Warum wissen Sie das? Darf ich rein kommen und mit ihnen reden?" - "Aber natürlich. Treten Sie ein."

"Ich habe mit meiner Mutter gesprochen. Sie versteht mich nicht."

"Kommen Sie, nehmen Sie Platz. Wissen Sie, die Menschen haben verschiedene Ansichten über die Kunst. Manche lieben sie und andere finden keinen rechten Zugang zu ihr. Aber bei Ihnen bin ich mir sicher, dass Sie Ihren Weg gehen werden."

Stella schluchzt. "Ich weiß nicht, warum unterstützt sie mich nicht?" - "Sie wird ihre Gründe dafür haben. Aber für Sie ist es wichtig, an sich zu glauben und für Ihre Ziele zu kämpfen. Geben Sie nicht auf."

Nach diesen eindringlichen Worten des klugen Mannes geht es ihr wieder besser.
"Was ist das für ein Foto. Ich war als Kind hier. Erinnern Sie sich?" -"Natürlich, Stella."

Fragend schaut sie ihn an, als spürte sie, dass er ihr etwas verheimlicht. "Ich habe dieses Foto schon einmal gesehen; zu Hause in einer Holzkiste auf dem Dachboden. Das ist doch ... Ist das nicht meine Großmutter? Warum haben Sie ein Foto von ihr?"

Herbert lehnt sich neben Stella an die Wand und räuspert sich. "Ja, da ist deine Großmutter. Ich habe ein Bild von ihr, weil ich ... Ich bin dein Großvater. Du hast sie nicht kennen gelernt. Die Gute ist so früh verstorben."

Stella scheint es, als würde sich der Raum drehen und ihre Augen flimmern. Herbert klopft liebevoll auf ihre Schulter. "Stella, geh jetzt nach Hause. Es wird alles gut."

Maria kniet, eingewickelt in eine Decke, auf der Couch und erwartet ihre Tochter. "Kind, wo warst du? Ist alles in Ordnung mit dir?" -"Mutter, ich bin kein Kind mehr. Übrigens, ich habe heute meinen Großvater getroffen!" - "Herbert?" -"Ja, genau. Herbert Münzer, meinen Großvater!" - "Jetzt weißt du es also. Hat er es dir erzählt?" -"Warum lebt er nicht bei uns? Wollte er nicht, oder hast du ihn nicht gelassen?"

"Ich konnte nicht, Schatz. Er hat die Familie zerstört und deine Großmutter ist seinetwegen gestorben." -"Wie kannst du so etwas behaupten, Mama? Wie meinst du das?"

Maria entgegnet mit strenger Stimme: "Weil er sie zu Tode gekränkt hat mit seinem Dickkopf. Er hat ihr das Leben schwer gemacht. Bis sie nicht mehr konnte und starb." - "Was ist das für ein Unsinn?" Stella schlurft verzweifelt in ihr Zimmer und schließt die Schlafzimmertür hinter sich ab.

Am nächsten Tag rumpelt es früh an Herberts Haustür. Maria starrt ihm mit verbitterter Miene in sein faltiges Gesicht. "Willst du meine Tochter auch noch umbringen? War es nicht genug, dass du Mama kaputt gemacht hast?" -"Schatz, ich habe sie nicht kaputt gemacht." -"Und warum hat sie Krebs bekommen? Weil du sie gequält hast mit deinem Ehrgeiz. Sie hat dem Druck nicht mehr standgehalten. Weshalb hast du sie vom Krankenhaus nach Hause geholt und sterben lassen?"

"Es war Sophies freier Wunsch, eine große Pianistin zu werden. Ich habe sie respektiert und hätte sie niemals zu etwas gezwungen ... und sie wollte ihre letzten Wochen zu Hause verbringen. Der Krebs war zu weit fortgeschritten. Sie wollte bei mir sein, im Garten sitzen und der Musik zuhören." Enttäuscht schaut er zu Boden. "Ich habe sie nicht kaputt gemacht. Sie ist so schnell eingeschlafen." Herbert kramt in der Schublade des Mahagonischrankes. "Ich habe Fehler gemacht, das weiß ich. Ich hätte dir diesen Brief von Sophia längst geben sollen."

Fragend sieht sie ihn an, lässt sich auf den Stuhl sinken und reißt den Umschlag auf. Maria bricht zusammen und weint bitterlich über den Abschiedsbrief ihrer Mutter. "Ich habe alles schlimmer gemacht und sie nie unterstützt. Und dann ist sie an diesem Brustkrebs gestorben und ich konnte mich nicht mehr verabschieden."

"Sie war dir nicht böse. Komm, lass uns zu deiner Tochter gehen und sie aufklären. Du solltest den gleichen Fehler nicht noch einmal machen. Stella hat Talent. Du musst sie unterstützen."
© Christine Kapeller

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kurzgeschichten3

ÄPFEL SIND GESUND

"Guten Morgen, Frau Sennemair. Backen Sie wieder Apfelkuchen?"
"Ja, jetzt im Herbst sind die Äpfel besonders lecker und gesund sind sie auch."

Manuela Sennemair stopft den Kilosack mit knackig-frischen Golden-Delicious-Äpfeln in ihren Stoffbeutel und schwingt ihre fraulichen Hüften durch die Ladentür. Vollbeladen stapft sie den fünf minütigen Fußweg nach Hause.

"Hey, Schatz! Ich werde mit den Jungs noch auf dem Fußballplatz trainieren. Das macht Dir doch nichts aus, oder?"
"Sag Mal, bist du nicht langsam zu alt dafür? Ich meine mit achtundzwanzig Jahren könntest du deine Zeit auch sinnvoller verbringen."
"Was soll ich denn tun? Wir haben ja keine Kinder, auf die ich aufpassen könnte."
Zynisch grinst er sie an.
"Kann ich etwas dafür, dass ich keine Kinder bekommen kann? Musst du mich dafür strafen?"
"Dann müssen wir eben welche adoptieren."
"Du hast zwei Kinder von Susanne. Warum suchst du nicht um das Sorgerecht nach?"
"Das habe ich schon vergeblich probiert, wie du weißt. Dann müssen wir Susi-Lori eben umbringen und die Kinder bei uns aufnehmen." Martin lächelt, wirft seiner Manu einen Kuss entgegen und verschwindet aus der Tür.

Manuela grübelt immer wieder darüber nach, was Martin von sich gegeben hat, während sie ihre sonnengereiften Äpfel in dünne Scheiben schneidet. Sie wischt sich eine Träne von der Wange und belegt den Tortenboden mit den Obststücken.
"Warum ist er nur so gefühllos. So kann es nicht weitergehen. Er macht, was er will."

Später am Abend torkelt Martin zur Tür herein. Manuela steht vor dem Fernseher und bügelt die Wäsche.

"Hast wieder getrunken? Magst ein Stück Apfelkuchen?"
"Aber immer doch, mein Schatz. Higs"

Manuela dreht sich zu Martin um, zieht die Mundwinkel zusammen und starrt ihm mit einem kalten Blick in seine glasigen Augen. Sie dreht ihren Kopf wieder in Richtung Fernseher und stiert geistesabwesend auf die bewegten Bilder.

"Wie machen wir das mit Susanne?"
"Mhhh, der Kuchen schmeckt lecker."
Manuela wendet sich wieder ihrem Mann zu. "Hast du schon eine Idee?", wiederholt sie energischer. - "Idee wofür?" - "Den Mord an deiner Ex?" -
"Susi-Lori ermorden? Bist du verrückt?" -
"Das war dein Vorschlag. Und schmatz nicht so. Ich kann das nicht ertragen!" -
"Ähm, higs, das war ein Scherz. Nimm doch nicht alles gleich so ernst. Bist ja wahnsinnig."

Manu richtet sich vor ihm auf, gafft ihn verständnislos an, reißt ihm den Kuchenteller aus den Händen. "Schmatz nicht so!"

Am nächsten Morgen besorgt Manuela Sennemair wie immer ihre Golden-Delicious.
Sie legt den Sack zwischen die Zucker- und Mehlpakete und wartet geduldig bis die Kassiererin ihre Lebensmittel über den Scanner zieht.

"Diesmal ein 2-Kilo-Sack?" - "Ja, das stimmt. Ich kaufe heute mehr. Wir haben ja auch bald zwei Mäuler mehr zu stopfen." - "Bekommen Sie Besuch?" - "So ähnlich.
Nicht so wichtig. Auf Wiedersehen!"

"Hallo! Susanne!"
"Ah, hallo Manuela, wie geht es dir, wie geht es Martin? Alles im Griff?"
"Ja. Ich wollte dich sowieso fragen, ob du Mal auf einen Kaffee ... Hast du heute später Zeit?"
"An einem Samstag Nachmittag? Immer doch. Tschüssi. Komme dann nachher vorbei."

Daheim schneidet sie die Äpfel in kleine Stücke und belegt den vorgebackenen Tortenboden. Ganz unten im Schrank ertastet sie ein kleines, weißes Päckchen.
In diesem Augenblick springt Martin herein. "Was machst du mit den ganzen Äpfeln? Obstkur?" Manu zuckt. "Nein, wieso? Apfelkuchen für das Wochenende. Ich nehme an, du hast heute wieder Training?" - "Logisch. Muss auch gleich los."

Manu mischt das weiße Pulver unter die Tortenglasur und schmiert die Masse auf die Äpfel, stellt die Torte wie immer für eine halbe Stunde in den Kühlschrank.

Stunden später klingelt es an der Haustür. Susanne hält Manu den schwarzen Ledermantel entgegen und stolziert ins Wohnzimmer, wo sie sich elegant auf die beige Leinencouch fallen lässt. "Hast du einen Kaffee für mich?" - "Natürlich."
Susanne quatscht stundenlang auf Manuela ein, die versucht, ein begeistertes Gesicht zu machen, und erzählt über ihre erfolgreichen Geschäftsabschlüsse.

"Hast überhaupt noch Zeit für deine Söhne bei der vielen Arbeit?" - "Alles eine Frage der Planung, meine Gute." - "Aha. Es ist spät. Martin kommt gleich. Tut mir Leid, dass ich dich so hinausdrängen muss."

Susanne hat keine Wahl und wird aus der Tür geschoben. "Warte, dein Kuchen, den hab ich ganz vergessen. Nimm das Stück einfach mit." Sie drückt ihr die Plastikdose mit einem üppigen Stück Kuchen in die Hand. Sie lächelt Susanne an:
"Damit du auch bestimmt genug davon bekommst."

Langsam wird es dunkel und es droht zu regnen. Besorgt schaut Manu aus dem Fenster. Dann und wann starrt sie für ein paar Sekunden auf das Telefon, bis sie Martins Auto von der Ferne entdeckt. Er ist nicht allein. Schemenhaft erkennt sie zwei weitere Personen. Manu lächelt zufrieden.

"Martin? Warum hast du denn deine Jungs dabei?"
Die Buben starren verstört zu Boden. "Stell dir vor, ich bekam vorhin einen Anruf von der Polizei. Es ist was passiert."
"Was denn?"
"Sie wurde vergiftet." Martin wischt sich die Tränen von der Wange. "Beruhige dich, ich bin doch da. Wir holen uns einfach das Sorgerecht und ich kümmere mich um die Kinder." Manu lächelt ihn an.

"Wie kannst du nur so gelassen darauf reagieren?"
"Kommt, esst erst Mal. Äpfel sind gesund."
© Christine Kapeller

Humor ist, wenn man trotzdem lacht ;)

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